Wissenswertes zur Chirotherapie
Hinweis: Lieber Besucher unserer Website, wir werden unter dem Button „Wissenswertes zur Chirotherapie“ in den kommenden Monaten schrittweise, wie es unsere Zeit zulässt, immer mehr Inhalte veröffentlichen.
Viel Spaß beim Lesen!
Die Chirotherapie (von altgriechisch χείρ cheir ‚Hand‘) ist eine Behandlungsmethode bei der, wie der Name schon andeutet, die Hand das zentrale Diagnostik- und Therapiemittel ist.
Sie grenzt sich damit von der invasiven oder medikamentösen Medizin ab.
Aus der hervorgehobenen Stellung der Hand ergeben sich Überschneidungen mit der Osteopathie und der Chiropraktik. Die Chirotherapie versteht sich dabei jedoch als Bestandteil der kritisch-rationalen Schulmedizin.
Sie fußt auf der funktionalen Anatomie. Ihre Techniken unterliegen einem stetigen Wandel mit dem Ziel, diese Techniken immer besser zu machen.
In vielen Büchern werden einzelne manuelle Techniken als entweder chirotherapeutische, osteopathische oder chiropraktische Techniken eingeteilt. Diese Zuteilung ist teilweise willkürlich, denn es werden immer wieder erfolgreiche Techniken in die jeweils anderen Schulen integriert. Dennoch gibt es einige grundlegende Unterschiede in der Philosophie, die den verschiedenen manualmedizinischen Schulen zugrundeliegt, und das ist auch gut so. Eigentlich sollte es einen amüsieren, dass sich jede Schule, dabei natürlich für die Krönung der manuellen Medizin hält.
Erfolgreichen manuellen Techniken ist es aber gleich, in welchem Lehrgebäude sie ursprünglich beheimatet waren. Für die Chirotherapie, wie wir sie verstehen, ist es daher selbstverständlich, nachweisbar erfolgreiche manuelle Techniken als ergänzende Techniken in das Lehrgebäude der Chirotherapie zu integrieren.
Die Chirotherapie ist eine ärztliche Behandlungstechnik und in den Chirotherapie-Kursen und Chirotherapie-Refreshern werden entsprechend ausschließlich Ärzte ausgebildet. Die Ausbildung mit den meisten Überschneidungen ist die „manuelle Therapie“ für Physiotherapeuten, wobei in dieser Ausbildung einige Griffe nicht enthalten sind, die ausschließlich Ärzten vorbehalten ist. Hierzu gehören im wesentlichen sog. Manipulationen. Hiermit soll in keinem Fall die physiotherapeutische manuelle Medizin abgewertet werden, im Gegenteil: Viele Physiotherapeuten verfügen über eine sehr große und tiefgehende manuelle Erfahrung und jeder Arzt ist gut beraten, hier den kollegialen Dialog zu suchen. In den Refresher-Veranstaltungen werden wir aber weiterhin an der getrennten Ausbildung von Ärzten und Physiotherapeuten festhalten, da wir so besser in der Lage sind, den Ansprüchen, die sich aus der täglichen Arbeit ergeben, gerecht zu werden.
Die Chirotherapie behandelt traditionell funktionelle Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankungen, die mit einer Funktionsstörung im Sinne einer Blockierung einhergehen. Ausgangspunkt ist dabei eine gezielte Diagnostik, die wie eine „normale“ orthopädische Untersuchung beginnt, in ihrer diagnostischen Tiefe aber im Regelfall weit darüber hinausgeht. Die Behandlung erfolgt dann mit gezielten Manipulationen, Mobilisationen oder neuromuskulären Behandlungstechniken.
In den letzten Jahren haben dabei einige ergänzende „osteopathische“ Techniken Eingang in die Therapie gefunden.
Was ist eine Blockierung?
Eine Blockierung ist eine reversible segmentale oder artikuläre Dysfunktion im Sinne der Hypomobilität. Ein Gelenk, z.B. ein kleines Wirbelgelenk zeigt also eine verminderte Beweglichkeit und dass obwohl kein struktureller Schaden vorliegt (also keine Einsteifung, Verletzung oder Entzündung). Nach der „Deblockierung“ ist die Hypomobilität dann reversibel. Das kann augenblicklich nach der Behandlung der Fall sein, manchmal kann es aber bei vorliegendem Muskelhartspann auch noch einige Stunden dauern, bis sich eine Normomobilität einstellt.
Durch die manuelle Deblockierung erfolgt sowohl eine Wiederherstellung der normalen Funktion als auch die Unterbrechung des pathologischen Reflexgeschehens, das die Blockierung unterhalten hat.
Was ist ein Irritationspunkt?
Ein Irritationspunkt ist ein nozireaktiver Hypertonus der tiefen, kurzen Rückenmuskeln bzw. der segmental zuzuordnenden Muskelinsertionen an der Linea nuchae und bestimmter, dem oberen undunteren SIP-Pol zuzuordnenden
Muskelareale in der Glutaealregion. Diese verhärtet tastbaren Areale in der Muskulatur schmerzen oft bei Druck und helfen dem Chirotherapeuten herauszufinden, in welche Richtung eine Manipulation erfolgen muss.
Was ist eine Manipulation?
nach Maigne “orthopädische Behandlungen, die impulsartig an den Gelenken vorgenommen werden”
Charakteristika:
– Hochgeschwindgkeitsimpuls
– geringe Energie
– kurzer Weg
– optimal gehaltender Tiefenkontakt
– optimal gehaltene Vorspannung
– nach Durchführung einer diagnostischen Probemobilisation (“Probezug”)
– gleichzeitige Verriegelung der Umgebung (durch Facettenschluss)
Der optimale Impuls zur Lösung einer Blockierung ist der, der eben zur Deblockierung ausreicht.
Die Manipulation an der Wirbelsäule erfolgt immer in eine (neurophysiologisch) freie Richtung (in diese Richtung abnehmende Zeichen der Nozireaktion (Schmerz und nozireaktiver muskulärer Hypertonus))
Wie gehe ich vor bei einer Manipulation? Worauf muss ich achten?
1. Optimale Lagerung des Patienten, optimale Positionierung des Therapeuten
2. Aufnahme des Tiefenkontaktes mit der Manipulationshand. Hierbei müssen oft Weichteile ausgestrichen werden.
3. Herstellung der Vorspannung in die beabsichtigte Manipulationsrichtung
4. diagnostische Probemobilisation (“Probezug”). Dieser geht kraft- und wegemäßig weit über den Manipulationsimpuls hinaus ist aber langsam. Dieser ist der sicherste Schutz vor eintretenden Komplikationen.
5. manipulativer Impuls (Erfolg beruht vor allem auf seiner Geschwindigkeit)
3-K-Regel:
– Kurze Zeit
– Kurzer Weg
– Kleine Kraft
- Manueller Impuls wird am günstigsten in der 2. Hälfte der Exspiration (nach 1/3 bis 2/3 der Exspirationsphase) gesetzt
- Unterstützung durch die Blickrichtung kann hilfreich sein (nicht nur bei Manipulation der HWS)
- Bei sehr starker Muskelverspannung ggf. Unterstützung durch postisometrische Relaxation oder eine repetitive Vormobilisierung
Was ist eine Mobilisation?
Unter Mobilisation verstehen wir weiche, repetitiv angewandte Techniken mit langsamer Bewegung, die den freien Weg bis zur Blockerung nutzt und bei denen die Gesamtenergie fraktioniert eingesetzt wird. Bei der Mobilisation wird bis an den Punkt herangeganden, an dem die Spannung zunimmt. Ein Arbeiten vor dieser Spannungsgrenze bringt keinen Gewinn; ein Überschreiten derselben führt zur unerwünschten Verstärkung der Nozireaktion (Vgl. Bischoff 2002).
Viele Griffe, die eigentlich für eine Manipulation vorgesehen sind, können auch mobilisierend eingesetzt werden. Das ist ein probates Mittel gerade für Anfänger, sich einem Griff anzunähern. Für eine erfolgreiche Mobilisation sind die ersten beiden Vorraussetzungen einer erfolgreichen Manipulation, also optimale Lagerung des Patienten und Aufnahme des Tiefenkontaktes aber ebenfalls unverzichtbare Vorraussetzungen. Viele Blockierungen lassen sich dann „wie eine verklemmte Schublade“ auch ohne Manipulationsimpuls lösen, indem man sie quasi vorsichtig „losrüttelt“ oder sanft „wegdehnt“.
Was sind „neuromuskuläre Techniken“?
Neuromuskuläre Techniken sind indirekt wirkende Techniken wie z.B. Muskelenergietechnik, postisometrische Relaxation und postisometrische Dehnung. Sie setzen nicht direkt am blockierten Bewegungssegment der Wirbelsäule an, sondern an der die Blockierung begleitenden bzw. diese auslösenden oder unterhaltenden Muskelverspannung (Vgl. Bischoff 2002).
Solche neuromuskuläre Techniken finden sich unter verschiedenen Namen in unterschiedlichen Schulen und Berufsgruppen. Vielfach überschneiden sich dabei Inhalte oder es werden sogar identische Prinzipien unterschiedlich benannt. Beispielhaft spricht der Chirotherapeut von postisometrischer Relaxation, der Physiotherapeut von Sherrington 1 (Ermüdung der Antagonisten) und der Sport- und Trainingswissenschaftler von der CHRS-Methode (Contract-Hold-Relax-Stretch) und meint damit im wesentlichen etwas sehr Ähnliches, nämlich folgendes:
Ich lasse den Patienten den Muskel, den ich durch manuelle Dehnung verlängern möchte, zunächst gegen Widerstand isometrisch anspannen. Dann warte ich ab (je nach Schule z.B. 10-15 sec.). In dieser Zeit arbeitet der Muskel des Patienten gegen meinen manuellen Widerstand, ohne dass dadurch ein Weggewinn erzielt wird (isometrische Kontraktion). Dann lässt der Patient locker und ich kann den Muskel bis zur neuen Grenze aufdehnen. Dieses Manöver lässt sich mehrfach wiederholen und ist eine wirklich einfache und hocheffektive Technik um verspannte Muskulatur aufzudehnen.
Was sind Kontraindikationen für eine Manipulation?
Wir unterscheiden klar zwischen dem Begriff „Chirotherapie“ und den einzelnen chirotherapeutischen Techniken, denen eigentlich nur gemeinsam ist, dass sie alle mit der Hand (siehe oben griechisch: cheir= Hand) durchgeführt werden.
Kontraindikationen für „die Chirotherapie“ gibt es entsprechend nicht, aber dem Selbstverständnis als Bestandteil der Schulmedizin folgend wird sich natürlich jeder ärztliche Chirotherapeut in jedem Behandlungsfall fragen, ob es für das vorliegende Krankheitsbild nicht bessere Behandlungsverfahren als die Chirotherapie gibt.
In diesem Fall gäbe es keine Indikation zur Chirotherapie.
Anders verhält es sich mit den Manipulationen. Hier gibt es Kontraindikationen und die sollte jeder Chirotherapeut kennen.
Absolute Kontraindikationen für die Manipulation:
- Spondylitis infectiosa
- Knochentumoren
- Aktivierte Spondylarthrose
- HWS-Beteiligung bei rheumatoider Arthritis
- Bandscheibenvorfälle mit fortschreitenden neurologischen Ausfällen
- Echte Luxationen oder Subluxationen traumatischer Genese
- Traumatische Gelenkkapsel- oder Bandläsionen (à Schmerz!, keine “freie Richtung”, Schmerz auch bei kyphosierender Traktion)
- Frisches HWS-Schleudertrauma
- Raumbeengende Prozesse und instabile Veränderungen am okzipiozervikalen
Übergang (z.B. instabile Situation am Os odontoideum) - Osteoporose oder Osteomalazie mit Spontanverformungen
- Noch nicht ausreichend gefestigte postoperative Zustände
- Bei bestimmten postoperativen Zuständen (z.B. Palacosplombe) besteht eine dauerhafte absolute Kontraindikation
Relative Kontraindikationen für die Manipulation:
- Osteopenie und Osteomalazie ohne Spontanverformungen
- Hypermobile Segmente
- Bekannter Prolaps ohne neurologische Ausfälle (absolut beschwerdefrei durchführbare diagnostische Probemobilisation ist unabdingbare Vorraussetzung für eine manipulative Therapie)
Wichtig: Bei Vorliegen fast aller dieser Krankheitsbilder, wird der Patient beim sog. „Probezug“ eine Schmerzverstärkung angeben. Eine „freie Richtung“ liegt dann nicht vor. Das macht aus der Chirotherapie eine sehr sichere Therapie, die sich insbesondere durch ihre Komplikationsarmut auszeichnet. In vielen Gesprächen mit langjährigen Chirotherapeuten wird uns immer wieder bestätigt. Es gibt wenige ärztliche Behandlungsmethoden, die bei sachgerechter kompetenter Anwendung weniger Komplikationen zeigt als die Chirotherapie.
Was ebenfalls schützt ist „Zeit“: Eine gründliche Anamnese und anschließende körperliche Untersuchung hilft sehr, ungeeignete Patienten zu identifizieren.
Die größte Komplikation der Chirotherapie ist das Übersehen internistischer Erkrankungen (Angina Pectoris, Tumor, Lungenembolie etc.)
Insbesondere BWS-Schmerzen sind immer auch aus der internistischen Perspektive zu interpretieren/durchleuchten.
Merke:
Der diagnostische Probezug ist in seinem Wert für die sichere Durchführung der Chirotherapie nicht zu unterschätzen!
Eine Schmerzempfindlichkeit bei leicht kyphosierender Traktion ist fast
immer ein Hinweis für das Vorliegen einer Kontraindikationfür eine manuelle Manipulation!
Was ist die sog. „Drei-Schritt-Diagnostik“?
Die Dreischrittdiagnostik ist eine zuverlässige Methode, um eine Blockierung im Bereich der Wirbelsäule zu diagnostizieren und sicher zu erkennen in welche Richtung die Manipulation erfolgen muss. Man versteht darunter:
– Segmentale Überprüfung der Mobilität (Hypomobilität, Normomobilität, Hypermobilität)
– Erfassen von Irritationspunkten und Insertionszonen
– Untersuchung des funktionellen Verhaltens einer segmentalen Irritation
–> Die Manipulation eines Wirbelsegmentes ist nur erlaubt, wenn alle Untersuchungen der Dreischritt-Diagnostik einen positiven Befund ergeben.
(Vgl. Heimann 2001)
Die Drei-Schritt-Diagnostik gehört zur Kernphilosophie der chirotherapeutischen Gesellschaft MWE:
– Wir suchen einen neurophysiologischen Irritationspunkt (IP)
– Dann manipulieren wir in die (neurophysiologisch) „freie Richtung“
Auf dem Bild schiebt der Therapeut mit seiner rechten Hand das Sakrum nach kaudal. Mit den Fingern der linken Hand überprüft er die Reaktion des
Irritationspunktes für S1 links (auf die Verschiebung des Sakrum). Die häufigste Blockierung des SIG ist die S1-Blockierung, die kaudalisierungs- und
ventralisierungsempfindlich ist. Sollte dieses auch hier der Fall sein, dann würde sich der Tonus im Irritationspunkt erhöhen (der Irritationspunkt wird für den tastenden Therapeuten „fester“ und der Patient berichtet von keiner Abnahme oder sogar einer Zunahme des Druckschmerzes im Irritationspunkt während des Manövers.
Was sind Kettenblockierungen?
In der täglichen Praxis zeigt sich, dass bestimmte Blockierungen gerne kombiniert miteinander auftreten. Daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen.
Beispielhaft kann es z.B. sein, dass ich einen Patienten immer wieder wegen der gleichen SIG-Blockierung sehe. Nach der Behandlung ist die SIG-Blockierung aufgehoben aber schon wenige Tage später stellt sich der Patient mit dem gleichen Problem erneut vor.
Eine mögliche Ursache kann hier darin liegen, dass der Patient eine Fibulaköpfchenblockierung auf der gleichen Seite hat und die ISG-Blockierung erst dann aufhört zu rezivieren, wenn die gesamt Beinkette blockierungsfrei ist.
Ein anderes Beispiel, welches in der Praxis recht häufig ist, dass Patienten das klinische Bild einens Tennisellenbogens zeigen, wobei der Radiuskopf blockiert ist. Wenn solche Patienten über Beschwerden oder Bewegungseinschränkungen im Bereich des cervicothoraklen Überganges klagen, dann sollte immer auch der Wirbel C6 auf freie Beweglichkeit überprüft werden. Wir haben es in unserer Praxis in den vergangenen Jahren häufig erlebt, dass eine einmalige Deblockierung von C6 ausreichte um eine monatelang bestehende scheinbalre „Epicondylitis-Symptomatik“ binnen Tagen komplett zum Abklingen zu bringen.
Es lohnt sich als insbesondere bei Rezidiven und hartnäckigen Fällen, die Untersuchung der Arm- oder Beinkette mit in die chirotherapeutische Diagnostik mit einzubeziehen.
- Armkette: HWS-Blockierung C-6 (nicht Wurzel C6!), Radiuskopf, Daumensattelgelenk
- Beinkette: Thorakolumbaler Übergang, SIG, Fibulaköpfchen, OSG/USG, Naviculare, TMT-2-Gelenk
Jedem Chirotherapeuten ist klar, dass die gegenseitige Beeinflussung von Funktionsstörungen des Bewegungsapparates damit nur angerissen ist und viel tiefergehender Betrachtung bedarf. Aufgrund der guten Umsetzbarkeit im praktischen Alltag, seien die „Arm- und Beinkette“ an dieser Stelle aber einmal beispielhaft genannt.